Zeit ist Hirn

Erfolgreiche Schlaganfallbehandlung durch schnelles Handeln
09.10.2024

Es ist Mittwoch, der 18.09.2024. Am letzten Urlaubstag ihres fünftägigen Spreewaldaufenthalts wollen es Annette und Manfred Maskus noch einmal entspannt angehen. Nach einem ausgedehnten Frühstück machen sich die beiden auf Richtung Storchendorf „Dissen“, um das Heimatkundemuseum zu besuchen. Nachdem Manfred Maskus das Auto auf dem Parkplatz abgestellt hat, wollen die beiden die letzten Meter zu Fuß gehen.

Auf einmal stellt der 71-jährige eine Veränderung bei seiner Frau fest. „Sie spricht nicht nur leiser, sondern irgendwie auch mechanisch“, berichtet er. Zuerst denkt er an den niedrigen Blutdruck seiner Frau und schlägt vor, auf einer Bank vor dem Museum eine kurze Pause einzubauen. Doch bis dahin schaffen es die beiden nicht mehr. Annette Maskus stürzt, ihr Mann kann das Schlimmste verhindern und fängt sie auf. Manfred Maskus spürt: Jetzt geht es um jede Sekunde. Mit Unterstützung der Angestellten des Heimatmuseums ruft er umgehend Hilfe. Die Rettungskräfte treffen nach kurzer Zeit ein und bestätigen seine erste Vermutung – es ist höchstwahrscheinlich ein Schlaganfall!

„Bei einem Schlaganfall handelt es sich um eine plötzlich einsetzende neurologische Symptomatik, die mit Lähmungen, Sprach -, Seh- und Gefühlsstörungen und auch Bewusstseinsverlust einhergehen kann“, sagt Dr. Stefan Kliesch, Chefarzt Diagnostische & Interventionelle Neuroradiologie an der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem (MUL – CT). Ursächlich sei häufig ein Verschluss eines Hirngefäßes mit einer akuten Durchblutungsstörung des Hirngewebes (sog. ischämischer Schlaganfall). Seltener könne aber auch ein geplatztes Hirngefäß verantwortlich sein und eine Hirnblutung zur Folge haben (sog. hämorrhagischer Schlaganfall). „Das therapeutische Vorgehen unterscheidet sich bei den beiden Ursachen natürlich erheblich“, so Dr. Kliesch weiter.

Auf kürzestem Wege bringt der Rettungswagen Annette Maskus in die MUL - CT in Cottbus. Ihr Ehemann folgt dem Wagen. Noch bevor dieser die MUL erreicht, ruft ihn die diensthabende Ärztin der Klinik für Neurologie Tsvetelina Paunowa aus der Zentralen Notaufnahme an. Über die Freisprechanlage wird bereits die Anamnese durchgeführt, damit eine adäquate Diagnostik und geeignete Therapie ohne Zeitverzögerung eingeleitet werden können. „Das Tempo hat mich beeindruckt, denn hier geht es um jede Minute. Nicht wenige landen nach einem Schlaganfall im Rollstuhl oder können nie wieder richtig sprechen. Das war meine größte Sorge“, erklärt Manfred Maskus.

Zur Abklärung der Ursache wird standardmäßig schnellstmöglich eine Computertomografie (CT) durchgeführt, insbesondere um Gehirnblutungen auszuschließen und eventuell ein verschlossenes Hirngefäß direkt zu identifizieren beziehungsweise auch die minderdurchbluteten Hirnareale zu erkennen. „Annette Maskus war dabei die erste Patientin, die eine diesbezügliche Diagnostik am neuen CT – Gerät unserer modernen Notaufnahme bekommen konnte. “, sagt Dr. Stefan Kliesch. Dieses Gerät zeichnet sich nicht nur durch eine extrem hohe Untersuchungsgeschwindigkeit bei herausragender Bildqualität aus, sondern kann auch die Durchblutung nahezu des gesamten Gehirns innerhalb kürzester Zeit darstellen (sogenannte Ganzhirnperfusionsbildgebung). Außerdem erkennt das Gerät automatisiert Einblutungen im Hirngewebe und kennzeichnet im Fall einer unterbrochenen Blutzufuhr, die bereits potentiell irreversibel geschädigten und auch die potentiell rettbaren Anteile des Gehirns. „Es ist ein großer Vorteil, dass sich das CT-Gerät direkt in der Notaufnahme befindet. Somit kann zusätzlich Zeit gewonnen werden, da der notwendige Transportweg auf ein Minimum reduziert wird“, so Dr. Kliesch weiter.

Annette Maskus bot bei Ankunft im Untersuchungsraum bereits eine dramatische Symptomatik mit deutlich gestörtem Bewusstsein sowie starker Unruhe. „Gerade bei solchen Patienten zahlt sich Schnelligkeit bei der Untersuchungsdurchführung sowohl für die Qualität der erzeugten diagnostischen Bilder als auch für die beschleunigte Einleitung einer entsprechenden Therapie aus“, erklärt Dr. Kliesch.

Es erfolgte daher unmittelbar nach der Untersuchung die Therapieeinleitung mittels intravenöser Verabreichung eines Gerinnsel-auflösenden Medikamentes, die sogenannte Lysetherapie. Da es sich aber um einen Verschluss einer sehr kräftigen Hirnarterie handelte, war auch unmittelbar klar, dass das Gerinnsel mittels eines minimalinvasiven Kathetereingriffs sofort entfernt werden muss. Eine alleinige intravenöse Lysetherapie reicht oft nicht zur vollständigen Auflösung des Gerinnsels aus. Bei dieser sog. Thrombektomie wird ein Katheter meist von der Leistenarterie bis hin zur verstopften Hirnarterie vorgeschoben, und das Blutgerinnsel wird abgesaugt bzw. mit einem Fangkörbchen herausgezogen. „Zeit ist hier wortwörtlich Hirn“, sagt Dr. Stefan Kliesch. Der ganze Eingriff dauerte dabei nur 20 Minuten und verläuft ohne Komplikationen.

Am CTK bzw. der MUL – CT wird dieser komplexe Eingriff seit mehr als 7 Jahren erfolgreich durchgeführt, so dass eine Weiterverlegung mit signifikantem Zeitverlust in ein spezialisiertes Zentrum nicht mehr notwendig ist.

Anschließend wird Annette Maskus auf die Stroke Unit der neurologischen Klinik verlegt.

„Bei der Stroke Unit handelt es sich um eine Spezialeinheit für Schlaganfall-Patientinnen und Patienten. Hier kümmert sich ein interdisziplinäres, speziell dafür ausgebildetes, Team um die Patientinnen und Patienten. Pflegekräfte, Therapeutinnen und Therapeuten, sowie Ärztinnen und Ärzte arbeiten eng zusammen“, so Dr. Antje Herwig, Leitende Oberärztin der Neurologie. Im Mittelpunkt steht hier die Überwachung der Patienten, die kürzlich einen Schlaganfall erlitten haben. Vitalparameter, wie Blutdruck und Herzfrequenz werden kontinuierlich überwacht, darüber hinaus wird mehrmals täglich eine ärztliche Untersuchung durchgeführt, damit mögliche Komplikationen frühzeitig erkannt und behandelt werden können. „Die Ursachenforschung spielt hierbei eine große Rolle“, so Dr. Herwig weiter. „Somit können wir die Patientinnen und Patienten medikamentös richtig einstellen und das Risiko für einen erneuten Schlaganfall verringern“, sagt sie.

Nach vier Tagen kann Annette Maskus auf die neurologische Normalstation verlegt werden. Der Schreck bei dem Ehepaar sitzt immer noch tief – aber es geht Annette Maskus gut.

Nach einem abschließenden MRT und einem Hals-Ultraschall ist die Gewissheit da – es sind nur minimale Veränderungen durch den Schlaganfall zu erkennen, welche offensichtlich keine Einschränkungen zurückgelassen haben. 

„Wir wurden sehr liebevoll umsorgt, die Betreuung hier ist wirklich einzigartig. Man spürt das positive Arbeitsklima und die große Hilfsbereitschaft jeden Tag“, fasst die Patientin ihren Aufenthalt auf der Neurologie zusammen. Auch Manfred Maskus sagt: „So viele Menschen waren hier im Krankenhaus für uns da. Man hat mir ganz geduldig erklärt, was mit meiner Frau gemacht wurde. Das hat mir große Sicherheit gegeben. Einen ganz großen Dank an das ganze Team der Stroke Unit und der Notaufnahme.“

Aufatmen für das Ehepaar Maskus. Die Vitalparameter stimmen und die beiden können aus dem Urlaub nach Halle an der Saale zurückkehren. Dort steigt am Wochenende die 18. Geburtstagsparty des Enkels. Es wird zwar leider keine versprochene Marzipantorte geben, bedauert Annette Maskus, aber sie freuen sich riesig, ihre Familie wieder in die Arme schließen zu können.